Asymmetrische Kriegsführung

Klassische Kriege, wie man sie von den Feldzügen Napoleons oder den Weltkriegen kennt, werden seltener. An ihre Stelle treten die Neuen Kriege, in denen der politische Aspekt mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Diese Kriege stellen selbst große Militärnationen vor Probleme und verlangen einen militärischen Strategiewechsel. 

 

Neue Kriege

Das Wesen militärischer Konflikte hat sich im Laufe der letzten 70 Jahre stetig verändert. Auch der Begriff des Krieges wandelte sich von einem klassischen Kriegsbegriff hin zu dem der neuen Kriege. Die Unterschiede: Ein klassischer Krieg ist klar vom Frieden abgrenzbar (vgl. Hippler 2009a). Der Beginn (Kriegserklärung), die Dauer und das Ende (Kapitulation, Friedensvertrag) des Krieges sind immer klar erkennbar. Ziel ist die „gewaltsame Neuregelung zwischenstaatlicher Machtverhältnisse“ durch die nationalen Streitkräfte (Hippler 2009a). Die Bevölkerung litt unter dem Krieg, trat jedoch nicht direkt in Erscheinung, da die Herrscher oder Feldherren ihre Gegner nicht vernichten, sondern nur die Streitkräfte besiegen wollten (Hippler 2009b). Taktisches Geschick in einzelnen Schlachten und die militärische Stärke der Truppen waren entscheidend für den Sieg, territoriale Erfolge standen im Vordergrund. (Vgl. Hippler 2009a)

 

Neue Kriege: Die Lösung auf der politischen Ebene

Abgelöst wurden die klassischen Kriege im Laufe des 20. sowie zu Beginn des 21. Jahrhundert von den sog. neuen Kriegen. Diese zeichnen sich durch ihren asymmetrischen Charakter aus. Meist sind das Bürger- oder Aufstandskriege, bei denen die Bevölkerung direkt am Krieg beteiligt ist (vgl. Hippler 2009b: 1). Entscheidende Schlachten wie in klassischen Kriegen sind nicht möglich, da weder Beginn und Ende noch Ort und Akteure voneinander abgrenzbar sind (vgl. Hippler 2009b: 2). Die Konstellationen in neuen Kriegen sind immer ähnlich: staatliche Akteure und ihre meist internationalen Unterstützer kämpfen gegen Aufständische, die sich die politische Macht in einem instabilen Land erkämpfen wollen. Aufständische können sich meist in der Bevölkerung zurückziehen und reformieren - Der Feind ist in neuen Kriegen also nicht mehr klar erkennbar, geschweige denn von der lokalen Bevölkerung abgrenzbar: Aufständische tragen keine Uniformen und sind auch sonst kaum von Menschen aus der normalen Bevölkerung zu unterscheiden. Militärisch sind solche Kriege nicht zu gewinnen - die Lösung muss also auf der politischen Ebene angesiedelt werden. (Vgl. Hippler 2009b: 2f.)

 

Der Kampf um Governance-Strukturen

Aufstandskriege werden gewonnen, indem eine Partei ihre politischen Absichten durchsetzt: Die Kriegsparteien ringen um die gesellschaftliche Legitimität im Land (vgl. Hippler 2009b: 3). Nur wer das Vertrauen der Bevölkerung gewinnt, kann seine politischen Strukturen im Land etablieren und somit als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen. Das Militär spielt zwar eine wichtige flankierende, absichernde und taktische Rolle, jedoch muss der Einsatz militärischer Mittel in neuen Kriegen präzise auf die Vertrauensgewinnung der Gesellschaft ausgerichtet sein (vgl. Hippler 2009b: 7). Jede Gewaltanwendung, die nicht dem Ziel der gesellschaftlichen Legitimität dient, ist kontraproduktiv und treibt die Bevölkerung in die Arme der aufständischen Akteure (vgl. Hippler 2009b: 4). Eine feste und dauerhafte politische Verankerung ist in neuen Kriegen wertvoller als territoriale Gewinne. Der „Kampf um Governance-Strukturen“ wird so zum „strategischen Hebel“ (Hippler 2009b: 4) der Kriegsparteien. Diese Governance-Strukturen dürfen allerdings nicht auf einzelne Gebiete wie z.B. die Hauptstadt beschränkt sein, sondern müssen möglichst bürgernah im ganzen Land verankert werden. Sonst entsteht in der Bevölkerung ein Gefühl der Ungerechtigkeit - und das wirkt konfliktfördernd. Weder militärische noch entwicklungspolitische Faktoren beenden den Krieg, wenn sie nicht in den „Dienst der Schaffung eines Systems legitimer und wirksamer Governance-Strukturen gestellt werden“ (Hippler 2009b: 9f.).

 

Die Ziele aller Kriegsparteien 

Fünf Ziele müssen die Kriegsparteien erreichen, um den Krieg zu gewinnen: 1. Der Bevölkerung muss etwas geboten werden: Sicherheit, Ressourcen oder Schutz. 2. Akteure müssen legitimer erscheinen als die Gegenseite. 3. Für militärische und politische Entwicklung müssen Zivilisten rekrutiert werden. 4. Die Unterstützer der eigenen Bewegung müssen geschützt werden. 5. Diese vier Punkte müssen gut propagiert werden, um bei der Bevölkerung legitim zu erscheinen. (Vgl. Hippler 2009b: 5)

Der Staat und seine Unterstützer werden versuchen, bereits vorhandene Strukturen auszubauen und den Staatsapparat durch politische Reformen legitimer, effizienter und weitreichender erscheinen zu lassen. Herrschen stabile staatliche Strukturen im Land, haben Aufständische es schwer (vgl. Hippler 2009b: 6). Ist der Staat jedoch instabil – was in Aufstandskriegen meist der Fall ist - müssen die verbündeten Truppen die Sicherheit im Land garantieren. Diese instabile Sicherheitslage kann von Aufständischen genutzt werden, um noch funktionierende Staatselemente anzugreifen (vgl. Hippler 2009b: 6). Der Gesellschaft soll so suggeriert werden, dass der Staat ihre Sicherheit nicht mehr garantieren könne. Der Aufbau parallelstaatlicher Strukturen durch die Aufständischen soll in einem nächsten Schritt vertrauensbildend auf die Bevölkerung wirken - Der im Kern immer politisch gewesene Krieg hat sich noch weiter politisiert und wird „zunehmend um die Loyalität oder die stillschweigende Tolerierung der Kriegsparteien durch die Bevölkerung geführt“ (Hippler 2009b: 3). Alle Kriegsparteien entwickeln Strategien, um das Vertrauen der Gesellschaft zu gewinnen und sie glauben zu lassen, sie verträten ‚ihren‘ Staat.

 

Asymmetrischer Krieg in Afghanistan: Das Durchhaltevermögen der Taliban

Der Afghanistankrieg kann als ein solcher asymmetrischer Krieg klassifiziert werden. Westliche Truppen erkannten das Wesen des Afghanistankrieges und versuchte ihn mithilfe der „Counterinsurgency-Strategy“ (COIN) zu gewinnen: Ein zivilmilitärischer Ansatz, mit dem der afghanische Staat so lange unterstützt werden sollte, bis dieser sein Machtmonopol auch ohne internationale Unterstützung durchsetzen könnte. Die Taliban versuchten ihrerseits, die Bevölkerung mit einer Mischung aus terroristischen Anschlägen, religiöser Propaganda und dem Aufbau von politischen Parallelstrukturen zu verunsichern. Sie wollten zeigen, dass der Staat nicht dazu in der Lage ist, die Bevölkerung zu schützen – sie aber schon. Die Aufrechterhaltung einer instabilen Sicherheitslage sollte dazu beitragen, den Krieg zu verlängern oder die Kosten des Krieges für die westlichen Truppen zu erhöhen und so einen möglichen Rückzug zu provozieren. Denn je länger die Sicherheitslage instabil war, desto weniger traute die Bevölkerung westlichen Truppen zu, ihre Sicherheit zu garantieren oder die Taliban effizient zu bekämpfen: „Viele Aufständische haben Kriege dadurch politisch gewonnen, dass sie ihn gegen überwältigende militärische Übermacht nicht verloren“ (Hippler 2009b: 2).