Afghanistankrieg: 1979-2021
Der Afghanistankrieg ist der längste Krieg, den die USA je geführt haben. Gleichzeitig auch der erfolgloseste. Den Grundstein für dafür legten die USA in den 80er Jahren selbst: Da unterstützten sie die Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjetunion. 20 Jahre später waren sie machtlos gegen die asymmetrische Kriegsführung der Taliban, eine extrem heterogene Gesellschaft in Afghanistan und Warlords, die nie an Frieden interessiert waren.
Die Eindämmung des Kommunismus in Afghanistan
Zwischen 1979 und 1989 unterstützten die USA die islamistischen Mudschaheddin - Kämpfer in Afghanistan im Krieg gegen die Rote Armee. Die Idee der USA: Islamismus vertreibt den Kommunismus. Dabei kooperierten die USA mit Pakistan und Saudi Arabien, die die Mudschaheddin ebenfalls unterstützten. Pakistan verfolgte geopolitische Ziele, Saudi Arabien religiöse. Die Länder lieferten Waffen, Geld und propagierten den aufopferungsvollen Kampf der Mudschaheddin gegen die Rote Armee in den Medien. Vor allem der Einsatz amerikanischer Stinger-Raketen verschaffte den Mudschaheddin einen entscheidenden militärischen Vorteil (Sietz 2009). Den brutalen Krieg rechtfertigten sie mit der Verteidigung ihrer Religion gegenüber den sowjetischen Invasoren. Der Plan der USA ging auf: 1988 unterzeichnete die UdSSR ein Rückzugsabkommen mit den USA, Pakistan und Afghanistan - Ein Jahr später zogen sowjetische Truppen aus Afghanistan ab (Steul 2001). Ein Erfolg im Kampf gegen den Kommunismus - aber zu welchem Preis?
Nachdem sich die UdSSR komplett aus Afghanistan zurückgezogen hatte, versäumten die USA es, sich mit den regionalen Konsequenzen ihres Handelns auseinanderzusetzen - das hatte Folgen: Die siegreichen Mudschaheddin setzten in Kabul zwar eine Regierung ein, waren jedoch nicht in der Lage, das Land vollends zu kontrollieren. Gerade in schwer kontrollierbaren ländlichen Gebieten bildeten sich Widerstandsgruppen. Die restliche Bevölkerung Afghanistans war indes schwer enttäuscht von dem Rückzug der USA - viele erhofften sich Hilfe und mussten erkennen, dass es den USA nie um die Menschen in Afghanistan, sondern nur um Geld und Geopolitik ging (Steul 2001). In diesem Zusammenhang bildeten sich im Jahr 1992 die Taliban aus einem radikalen Flügel der Mudschaheddin.
Sturz der Mudschaheddin, Taliban und Al-Qaida
1994 stürzten die Taliban die Mudschaheddin Regierung und übernahmen die Macht in Afghanistan. Sie waren strategisch gut ausgebildet, kampferprobt und radikal. Außerdem hatten sie Zugriff auf eine große Anzahl sowjetischer Waffenarsenale. Im Gegensatz zu den Mudschaheddin steht nicht nur die Verteidigung der Religion im Vordergrund, sondern die Ausübung eines strengen repressiven Sharia-Rechts sowie der Dschihad gegen Ungläubige (Jan 2021). Die Taliban gewährten der Terrororganisation Al-Qaida Gastrecht in Afghanistan. Ihr Anführer Osama Bin Laden kämpfte Seite an Seite mit den Mudschaheddin gegen die Sowjetunion und hatte enge Beziehungen zu den Taliban (Spalinger 2021). In Saudi-Arabien geboren, vertrat Bin Laden eine streng wahhabitische Weltsicht, die seinen Terror gegen Ungläubige legitimierte.
Erfolglose Kehrtwende: Der amerikanische “War on Terror”
Mit dem Anschlag von Al-Qaida auf das World-Trade-Center im September 2001 erfuhren die USA auf tragische Weise, welche gefährlichen Werte sie im Nahen Osten im Kampf gegen die UdSSR unterstützten - Osama Bin-Laden wurde derweil zum Staatsfeind Nr. 1.
Am 7.10.2001 riefen die USA mit dem Start der „Operation Enduring Freedom“ einen Krieg, den „War on Terror“ aus, der als der längste Krieg der USA in die Geschichte eingehen sollte. Die UN-Resolution 1368 vom 12.09.2001 ebnete den USA den Weg in den Krieg. Der NATO-Bündnisfall trat in Kraft. Die Taliban sollten besiegt und durch ein Regime ersetzt werden, das einer westlichen Demokratie ähnelt und leicht zu kontrollieren ist. Nach dem Anschlag hoben die Taliban das Gastrecht von Al-Qaida umgehend auf. Dennoch waren sie das Hauptziel des militärischen Gegenschlags der USA. Dafür gibt es drei Erklärungen: Erstens waren sie als damalige Herrscher Afghanistans greifbarer, als die lose Terrororganisation Al-Qaida. Zweitens operierte Al-Qaida von Afghanistan aus, weshalb das Land als die “Brutstätte” des islamistischen Terrors identifiziert wurde. Drittens musste Bush eine Reaktion auf den Terroranschlag zeigen, um innenpolitisch nicht an Popularität zu verlieren.
Binnen weniger Wochen besiegten britische und amerikanische Truppen die Taliban im Herbst und Winter des Jahres 2001. Der schnelle Sieg ist vor allem auf die westliche Lufthoheit in den Gefechten zurückzuführen. Am Boden verbündeten sich die westlichen Truppen mit lokalen Warlords, die die Gegenden des Landes und die Strategien der Taliban kannten (Schetter 2003). Das war für beide Seiten von Vorteil: Die westlichen Nationen mussten weniger Bodentruppen einsetzen, was das Risiko von Toten minimierte. Die Warlords eroberten ihre Gebiete und so auch ihre Macht von den Taliban zurück. Das langfristige Problem: Warlords sind an Machterhalt und Gewinn orientiert, diese sichern sie durch Gewalt und illegalen Handel ab. An der Bildung eines afghanischen Rechtsstaats sind sie nicht interessiert, da dieser ihre persönliche Macht beschneiden würde (Kühn 2012).
Die Bildung eines geeinten Afghanistans
Armut, verfeindete Stämme, Warlords, diverse Ethnien mit Machtanspruch, mehrere offizielle Landessprachen, eine zerstörte Infrastruktur und ein korrupter Staatsapparat - Es gibt bessere Voraussetzung für die Bildung einer Demokratie. Um den Ansprüchen der vielen Stämme und Ethnien gerecht zu werden, wird bei nationalen Fragen in Afghanistan meist eine sog. “Loja Dschirga” einberufen - Eine Versammlung der Stämme. Nach der Niederlage der Taliban wurde eine solche Versammlung einberufen - unter amerikanischer Leitung. Die Ergebnisse entsprachen also westlichen, nicht aber afghanischen Bedürfnissen (Maaß 2002). Die USA bestimmte mit Hamid Karzai einen Präsidenten, der der wichtigsten westlichen Anforderung entsprach: Er war leicht zu kontrollieren (Feroz 2021).
In seinen ersten Regierungsjahren verbündete sich Karzai mit afghanischen Warlords, denn der afghanische Staat hatte keine Armee und konnte das Machtmonopol des Staates nicht unabhängig durchsetzen. Die Folge: Warlords wurden von Karzai als Polizeichefs und Provinchefs eingesetzt und sollten so die Staatsgewalt durchsetzen (Feroz 2021). Durch ihre neue Position verfestigten die Warlords ihre Macht politisch und organisierten parallel ihren illegalen Handel mit Drogen oder Waffen (Kühn 2012). Dennoch war die Kooperation mit den Warlords zu diesem Zeitpunkt die einzige Möglichkeit, eroberte Gebiete zu kontrollieren und gegen Eindringlinge zu verteidigen. Parallel dazu begannen die Ausbildungsprogramme der NATO-Länder für Afghanisches Militär und Polizei.
Kriegsführung der Taliban
Zwischen 2001 und 2003 formierten sich die Taliban - hauptsächlich aus Pakistan - neu. Sie verfügten über gute Beziehungen nach Pakistan und rekrutierten dort in den Folgejahren viele Kämpfer (Thomas et al. 2021).
In ihrer Gegenoffensive eroberten die Taliban zwischen 2003 und 2009 kontinuierlich Gebiete in Afghanistan zurück. Ihre asymmetrische Kriegsführung stellte die westlichen Truppen vor große Probleme: Anders als in klassischen Kriegen gab es kein einheitliches Taliban-Heer, kein definiertes Schlachtfeld, keinen festgelegten Zeitpunkt des Krieges. Die Taliban operierten in kleinen Gruppen, führten spontan einzelne Anschläge durch, rotierten an Stützpunkten und bewegten sich durch ihr unauffälliges Aussehen unbemerkt in der Gesellschaft (Garfield und Boyd 2013). Sie agierten auf afghanischem Gebiet schneller als westliche Truppen. Ein entscheidender Vorteil lag auch im religiösen Bezug des Krieges: Sie waren bereit, für den Kampf gegen die westlichen Invasoren, die Religion und Heimat bedrohten, zu sterben - Tote wurden als Märtyrer gefeiert. Die Taliban waren im Gegensatz zu westlichen Soldaten zu hohem Risiko - im Zweifel auch zum Sterben - bereit. Selbstmordattentate waren in diesem Zusammenhang ein weiterer strategischer Vorteil gegenüber westlichen Truppen (Garfield und Boyd 2013).
Militärische Sackgasse des Krieges
Bis 2012 entstand eine Pattsituation im Krieg: Weder die USA und NATO, noch die Taliban waren stark genug, um den Krieg zu gewinnen. Dennoch waren beide nicht schwach genug, um zu verlieren. Bis 2021 konnte deshalb keine Partei wirkliche Gebietsgewinne verzeichnen. Die Zeit war der größte Verbündete der Taliban: Je länger der Krieg dauerte, desto höher waren die Kosten des Krieges für die westlichen Truppen und desto geringer der Nutzen. Der Krieg wurde in vielen westlichen Ländern unpopulär. Auch in Afghanistan verloren westliche Truppen an Beliebtheit. Das lag vor allem an dem fehlenden Fortschritt für Frieden im Land, dem funktionierenden Propagandaapparat der Taliban und an den vielen zivilen Toten, die ab 2009 auch durch westliche Drohnenangriffe entstanden sind (Hippler 2010). Die Taliban mussten also nur warten und standhalten. Und zwar so lange, bis die westlichen Truppen aufgrund zu hoher Kosten letztlich einen Rückzug forcieren würden (Ruttig 2020). Im August 2021 trat dieser Fall ein - NATO und USA zogen sich aus Afghanistan zurück. Die Taliban nahmen nach dem Rückzug westlicher Truppen in kürzester Zeit alle afghanischen Gebiete ein (Thomas et al. 2021). Afghanische Truppen, die fast zwanzig Jahre lang von westlichen Truppen ausgebildet wurden, leisteten kaum Widerstand. Sie ergaben sich, flohen oder schlossen sich den Taliban an. Andere wurden gefoltert und getötet. Das zeigt auf erschreckende Weise, wie instabil das Land auch nach 20 Jahren westlicher Arbeit war: Hochentwickelte westliche Militärtechnik und Kriegsstrategie scheiterten an einer aus westlicher Sicht schwach ausgestatteten, rückwärtsgewandten und nur lose organisierten Terrororganisation religiöser Fanatiker (Watkins 2020).
Zur Erinnerung: Im Kampf gegen die Sowjetunion wurden die Mudschaheddin von den USA, Pakistan und Saudi-Arabien unterstützt. Zudem war die Sowjetunion durch Jahre des Kalten Krieges angeschlagen. Die Taliban jedoch kämpften gegen das stärkste Militärbündnis der Welt, angeführt von der stärksten Militärnation der Welt, ohne große Unterstützung zu erfahren. Aus analytischer Sicht ist das ein bemerkenswerter Sieg, den so wohl niemand vorausgeahnt hätte.
Zwanzig Jahre Krieg
Der “War on Terror” war ein Misserfolg auf allen Ebenen. In 20 Jahren des Krieges wurde Afghanistan nicht nachhaltig stabilisiert. Seit 2015 operiert der Islamische Staat von Afghanistan aus und profitiert von der Instabilität des Landes. Anstatt die von Bush als “Brutstätte des Terrorismus” bezeichnete Region zu stabilisieren, erreichte die USA mit ihrer Invasion das Gegenteil: Destabilisierung und Raum für radikalen Terror. So entpuppte sich der Krieg als Racheakt der USA, für den es keinen Exit-Plan gab. Letztendlich eroberten die Taliban die Macht zurück, die sie bereits 2001 innehatten. Zwanzig Jahre des Krieges hatten ein Ergebnis zur Folge, das also bereits im Jahr 2001 möglich gewesen wäre - mit einem tragischen Unterschied:
In den zwanzig Jahren des Krieges starben insgesamt etwa 241.000 Menschen. Alleine 71.000 Zivilisten. Laut Schätzungen der IPPNW-Body Count Studie ist die tatsächliche Anzahl achtmal höher. Die Zahl getöteter Zivilisten läge somit bei 568.000. Eine halbe Millionen Menschen. Über fünf Millionen Afghanen sind auf der Flucht. Aktuelle Sanktionen und internationale Isolation fördern die wachsende humanitäre Katastrophe im Land ebenso wie das autoritäre Taliban Regime. Der große Verlierer des Krieges ist nicht der Westen - es ist die afghanische Bevölkerung.